- Wirtschaftswachstum: Zusammenspiel vieler Faktoren
- Wirtschaftswachstum: Zusammenspiel vieler FaktorenDie Bedeutung von Wirtschaftswachstum — oder allgemeiner: der wirtschaftlichen Entwicklung — für die Lebensumstände des Einzelnen ist kaum zu überschätzen. Ein jährliches Wachstum von zwei Prozent — keineswegs nur ein Rechenbeispiel — führt innerhalb eines Jahrhunderts zu einer Versiebenfachung des materiellen Lebensstandards. In diesem Kapitel wird zunächst ein Blick auf die Fakten wirtschaftlichen Wachstums geworfen, bevor daran anschließend die Triebkräfte von Wachstum näher untersucht werden. Der Schritt von einem tieferen Verständnis dieser Kräfte hin zu einer zielgerichteten Politik ist dann nicht mehr sehr groß. Die möglichen »Grenzen des Wachstums«, so der Titel eines bekannten Berichts, sind Gegenstand des dritten Abschnitts.Eine weitere Dimension der wirtschaftlichen Realität ist die starke und wachsende Verflechtung der einzelnen Volkswirtschaften miteinander. Inwieweit die populäre Sorge vor dem Hineintappen in die »Globalisierungsfalle« gerechtfertigt ist und welche Rolle dabei die internationalen Organisationen im wirtschaftlichen Bereich spielen, soll uns in den Abschnitten vier und fünf beschäftigen. Schließlich wird vor dem Hintergrund dieser Fakten und Analysen zusammenfassend gefragt werden, welche Lehren die Ökonomik für den Blick in die Zukunft (nicht) bereithält.Wirtschaftswachstum früher und heuteUm die Zukunft und die Entwicklung von Wirtschaftswachstum einschätzen zu können, gibt es zwei Wege: Einmal die Untersuchung von vergangenen Entwicklungen und zweitens die theoretische Analyse von Bestimmungsgrößen wirtschaftlichen Wachstums. Zunächst werden nun wirtschaftliche Entwicklungen der Vergangenheit unter die Lupe genommen. Es wird gezeigt, wie sich wirtschaftlicher Wohlstand in der Vergangenheit entwickelte und wie sich dieser Wohlstand heute verteilt.Das Niveau der wirtschaftlichen AktivitätWirtschaftswachstum und -entwicklung sind bereits seit langem für den weitaus überwiegenden Teil der Weltbevölkerung — wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß — fast schon selbstverständliche Aspekte der Lebenserfahrung. Dass sich Konsummöglichkeiten für den Einzelnen ständig erweitern, wirtschaftlicher Wohlstand von Generation zu Generation wächst, ja selbst dass in den jährlichen Lohnverhandlungen über die Verteilung eines wachsenden Kuchens gestritten werden kann — all dies scheint kaum mehr einer besonderen Erwähnung zu bedürfen. Auch wenn sich über die Zukunftsperspektiven der wirtschaftlichen Entwicklung immer wieder skeptische Stimmen zu Wort melden: Der in der Vergangenheit eingetretene weltweite Anstieg des wirtschaftlichen Lebensstandards war enorm. Für unseren Blick in die Zukunft werden wir uns auf Informationen und Erfahrungen aus der Vergangenheit und der Gegenwart stützen.Bevor auf die Konstruktion und Aussagekraft der beiden Maße näher eingegangen werden soll, lassen sich zunächst drei wichtige Merkmale festhalten:(1) Der Anstieg des wirtschaftlichen Lebensstandards über die letzten 4000 Jahre Menschheitsgeschichte hinweg war exorbitant. Je nachdem, welches Maß herangezogen wird, liegt der Faktor in diesem Zeitraum zwischen den Werten 15 und 60.(2) In diesen 4000 Jahren blieb der Lebensstandard über fast 3500 Jahre hinweg mehr oder weniger konstant. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Untertanen ägyptischer Pharaonen und Karls des Großen waren praktisch die gleichen. Erst mit dem Beginn der Neuzeit, etwa ab dem frühen 16. Jahrhundert, beginnt eine deutliche Aufwärtsentwicklung des Wohlstands.(3) In diesen letzten fünf Jahrhunderten ist nicht nur das Wirtschaftswachstum als Phänomen wichtig geworden, vielmehr hat sich seither das Tempo des Wachstums kontinuierlich und erheblich beschleunigt.Legt man die in der Grafik durch die rote Linie aufgezeigte Entwicklung zugrunde, so lässt sich Folgendes verdeutlichen: Nach dem Beginn des 16. Jahrhunderts, als das wirtschaftliche Niveau noch etwa demjenigen zur Zeit der klassischen Antike entsprach, brauchte es für die Verdoppelung des Lebensstandards knapp dreieinhalb Jahrhunderte. Die beiden nächsten Verdoppelungen von 1830 bis 1880 und weiter bis 1925 nahmen dagegen jeweils nur noch etwa ein halbes Jahrhundert in Anspruch. Im 20. Jahrhundert beschleunigte sich dieses Tempo noch einmal, sodass von 1925 bis 1960 und von 1960 bis 1982 weitere Verdoppelungen eintraten. Wohlgemerkt spiegeln diese Zahlen nicht das ähnlich dynamische Wachstum der Weltbevölkerung wider, sondern den durchschnittlichen Lebensstandard des Einzelnen. Die in der Grafik enthaltenen Datenpunkte beruhen für weit zurückliegende Jahre naturgemäß nicht auf statistischen Aufzeichnungen. Sie sind mit einer Hilfskonstruktion berechnet, die auf den sehr viel besser bekannten Bevölkerungszahlen und einem sehr robusten statistischen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsgröße und Wirtschaftswachstum basiert.Um den Lebensstandard zu messen, gibt es viele mögliche Messkonzepte, von denen eines das Sozialprodukt ist. Kritisiert wurde an dieser Größe insbesondere, dass quantitatives Wachstum nur ein Mittel, nicht jedoch das Ziel einer Volkswirtschaft darstelle. Dieses Ziel wird häufig mit dem breiteren — aber nicht immer trennscharfen — Konzept der Entwicklung (»human development«) umschrieben. Hierzu gehören auch Komponenten wie Bildung, Gesundheit, Lebenserwartung und anderes mehr, die nicht direkt im Sozialprodukt enthalten sind. Um Abhilfe zu schaffen und die Entwicklung von Ländern im Zeitablauf zu dokumentieren beziehungsweise den Vergleich zwischen Ländern zu ermöglichen, wird seit 1990 ein »Human development index« (HDI) errechnet.Diese Zahl, die zwischen den Werten 1 und 0 normiert ist, kombiniert Maße der Lebenserwartung, der Schreib- und Lesekenntnisse, des Besuchs von Schulen, aber auch des realen Sozialprodukts (pro Kopf). Die nebenstehende Grafik zeigt entlang der vertikalen Achse den HDI für verschiedene Länder und den (ebenfalls auf Werte zwischen 0 und 1 normierten) Teilindex für das reale Sozialprodukt pro Kopf (SPI) entlang der horizontalen Achse. Die Daten beziehen sich auf das Jahr 1995. Zwei Botschaften lassen sich aus dieser Grafik ableiten: Zum einen übertreibt die Konzentration auf Sozialproduktmaße die Entwicklungsunterschiede zwischen Ländern, insbesondere beim Vergleich sehr reicher und sehr armer Länder. Die armen Länder weisen in aller Regel einen HDI-Wert auf, der deutlich über dem SPI liegt. Für die reichen Länder gilt die umgekehrte Aussage. Andererseits geht ein hoher HDI immer auch mit einem hohen SPI einher, sodass dieses Maß wenn schon nicht perfekt, so doch auch nicht ungeeignet ist. Wenn die Idee von »Entwicklung« gar auf das sicherlich noch umfassendere Konzept von individuellem »Glück« erweitert wird, so kann man vor dem Hintergrund des engen Zusammenhangs von HDI und SPI durchaus der englischen Schriftstellerin Jane Austen beipflichten, wenn sie sagt: »Das beste Rezept, um glücklich zu sein, ist ein hohes Einkommen.«Internationale EinkommensdisparitätenNatürlich ist der gerade dokumentierte, steile Anstieg des durchschnittlichen Lebensstandards nur ein Aspekt der wirtschaftlichen Realität. Gerade durch diesen Anstieg ist der Wohlstand in verschiedenen Ländern deutlich auseinander gedriftet. Schon die Grafik zum HDI vermittelt, wie weit verschiedene Länder hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Entwicklung auseinander liegen. Obgleich hier die Datenlage für langfristige Vergleiche noch schwieriger ist als bei der Abschätzung des weltweiten Lebensstandards, zeigt die folgende Grafik einige relevante Größenordnungen.Hier zeigt sich deutlich: Der Abstand zwischen den USA und dem jeweils ärmsten Land war schon im Jahr 1870 mit einem Faktor von etwa 9:1 nicht gerade gering und hat sich mit dem exorbitanten Wachstum in den Industrieländern deutlich vergrößert. Dabei entwickelte sich das Pro-Kopf-Einkommen selbst in den ärmsten Ländern nach oben. Damit ist zwar einerseits gezeigt, dass die Reichen immer reicher geworden sind, andererseits sind die Armen aber keineswegs immer ärmer geworden, auch wenn der relative Abstand zwischen armen und reichen Ländern zugenommen hat.Erklärungsmuster für WachstumDer nun folgende Abschnitt stellt die zentralen Gedanken über die Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung heraus. Dabei ist das Ziel, die wichtigsten Merkmale wirtschaftlichen Wachstums mithilfe eines einfachen Modells darzustellen und die Mechanik des Wachstumsprozesses zu analysieren. Obgleich mithilfe theoretischer Modelle nicht unmittelbar ein Blick in die Zukunft geworfen werden kann, lassen sich doch die bestimmenden Größen von Wachstum abgreifen. Damit können dann auch Prognosemöglichkeiten fundiert eingeschätzt werden. Zunächst wird vorgestellt, welche Faktoren mit Wachstum nichts zu tun haben, bevor in mehreren Teilschritten auf die Bestandteile und die Mechanik des Wachstumsprozesses eingegangen wird. Diese zunächst institutionenfreie Theorie wird am Ende dieses Abschnitts ergänzt um eine Diskussion über den Einfluss der Wirtschaftsordnung auf das Wachstum.Was Wachstum eigentlich (nicht) istIn der Wirtschaftspresse ist der Begriff Wachstum allgegenwärtig. Meistens ist damit jedoch die Veränderung der Wertschöpfung innerhalb eines recht kurzen Zeitraums — zum Beispiel über ein Jahr — gemeint. In solchen Zeitabschnitten bewegt man sich jedoch in einer konjunkturellen Frist, deren Analyse bei der Frage nach den Determinanten langfristiger wirtschaftlicher Entwicklung nicht weiterhilft. Die nebenstehende Grafik skizziert diese Unterscheidung. Um die Dinge zu vereinfachen, geht man davon aus, eine Volkswirtschaft könne zwei verschiedene Güter produzieren. Deren Mengen sind jeweils auf den beiden Achsen abgetragen. Die Produktionsmöglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt werden durch die blaue Kurve charakterisiert (Produktionsmöglichkeitenkurve). Wird ein Punkt auf dieser Kurve, beispielsweise B, erreicht, so werden in dieser Volkswirtschaft alle vorhandenen Produktionsmöglichkeiten auch tatsächlich genutzt, es liegt also eine Voll- oder auch Normalauslastung aller Produktionsmittel vor. In diesem Sinn wird hier das gesamtwirtschaftliche Angebot an Gütern und Dienstleistungen dargestellt. Ein konjunkturelles Problem ist nun dadurch gekennzeichnet, dass ein Punkt wie A unterhalb der Linie der Produktionsmöglichkeiten erreicht wird. Der Grund hierfür liegt dann in einem Mangel an Nachfrage nach den Produkten dieser Volkswirtschaft. Es ist somit eine konjunkturpolitische Aufgabe, möglichst nahe an einen Punkt auf der Produktionsmöglichkeitenkurve und somit zu einer Vollauslastung der Kapazitäten zu gelangen. Im Weiteren soll eine solche Bewegung nicht als Wachstum gelten, vielmehr wird dieser Begriff ausschließlich für eine Ausdehnung der Produktionsmöglichkeiten reserviert. Dieser Ausdehnung entspricht eine Verlagerung der Produktionsmöglichkeitenkurve nach außen auf die rot eingezeichnete Linie. Die Bewegung von B nach C soll im Folgenden unter Wachstum verstanden werden.Damit kann man sich nun der tatsächlichen Entwicklung des Sozialprodukts in Deutschland zuwenden, die in den beiden Teilen der oberen Grafik weiter unten dokumentiert ist. Die jährlichen Wachstumsraten zeigen starke Ausschläge nach oben wie nach unten, was kaum durch eine stark schwankende Entwicklung der Produktionskapazitäten zu erklären ist, sondern mit deren Auslastungsgrad. Natürlich werden sich auf Dauer Kapazitäten, die keine Nachfrage finden, nicht bilden, sodass für langfristiges Wachstum nicht die Nachfrage, sondern das Angebot, die Entwicklung der Produktionskapazitäten von Bedeutung ist.Die Wachstumstheorie soll dementsprechend nicht die starken Schwankungen der jährlichen Wachstumsraten erklären, sondern langfristige Trends, wie sie im oberen Teil der folgenden Grafik zum Ausdruck kommen. Hier sind die langfristigen Trendwachstumspfade von 1960 bis zur ersten Ölkrise 1973, von dort bis zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung 1990 und für die Zeit danach eingezeichnet. Die durchschnittliche Wachstumsrate über diese drei Zeiträume hat sich von jährlich über vier Prozent deutlich zurückgebildet auf gut zwei Prozent im zweiten Abschnitt und etwa 1,3 Prozent im dritten Abschnitt. Diese langfristigen Trends sind Gegenstand der Wachstumstheorie.Wie geschildert, beschäftigt sich die Wachstumstheorie also mit der zeitlichen Entwicklung des Produktionspotenzials, das heißt mit der Angebotsseite der Volkswirtschaft. Per se schließt dies noch nicht aus, dass eine stagnierende Nachfrage ursächlich für ein sinkendes oder gar gänzlich verschwindendes Wirtschaftswachstum sein kann. Dennoch spielt die Nachfrageseite in praktisch der gesamten Wachstumstheorie keine Rolle. Vielmehr wird eine den Produktionskapazitäten entsprechende Nachfrage einfach vorausgesetzt.Faktoren langfristigen WachstumsIm Folgenden werden nun einige Aspekte der Wachstumstheorie näher untersucht. Diese Theorie versucht eine Beschreibung und auch eine Analyse der langfristigen Wachstumsprozesse zu geben, wie sie im einleitenden Abschnitt dargestellt wurden. Damit ist die Wachstumstheorie auch ein wichtiges Werkzeug, um zukünftige wirtschaftliche Entwicklungen abschätzen zu können. Die nebenstehende Grafik gibt eine Vorstellung darüber, welche Faktoren auf das langfristige Wachstum einwirken.Nachdem bereits klargestellt wurde, dass die Nachfrageseite für das langfristige Wachstum keine zentrale Bedeutung hat, sollen hier nun die bestimmenden Größen der Angebotsseite untersucht werden. Die zentrale Unterscheidung innerhalb dieser Größen ist die zwischen der Menge der im volkswirtschaftlichen Produktionsprozess eingesetzten Produktionsfaktoren auf der einen Seite und der Effizienz, mit der die Faktoren genutzt werden, auf der anderen Seite. Bei den Produktionsfaktoren kann dann im Prinzip sehr weitgehend differenziert werden. In einer sehr groben Übersicht ist es jedoch zunächst nützlich, Arbeit und Kapital zu unterscheiden. Vielfach werden außerdem Rohstoffe und Energie sowie die Verfügbarkeit von Boden und so weiter mit aufgeführt. Wie weitgehend diese Unterscheidung getrieben werden soll, ist dabei weniger eine empirische Frage nach dem Aussehen der tatsächlichen Produktion, sondern eher eine Frage des Untersuchungsinteresses. Da in diesem Fall irgendwelche Differenzierungen von Arbeit (beispielsweise verschiedene Qualifikationen) oder Kapital nicht von Interesse sein sollen, wird im Folgenden nur von Arbeit (L) und Kapital (K), mit deren Hilfe das Sozialprodukt (Y) hergestellt wird, die Rede sein.Die nebenstehende Grafik beschreibt die Anatomie des Wachstumsprozesses in Kategorien der beiden Produktionsfaktoren sowie des technischen Fortschritts. Daraus lassen sich folgende Beobachtungen entnehmen: Der Beitrag des technischen Fortschritts zu den Wachstumserfolgen der europäischen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg — hier Frankreich und Deutschland als Beispiele — war substanziell. Für Frankreich und Deutschland ist mehr als die Hälfte des Wachstums auf diesen Faktor zurückzuführen, für Japan etwas weniger als die Hälfte. Der zweitwichtigste Wachstumsbeitrag ging von der schnellen Kapitalakkumulation aus, während der Beitrag des Faktors Arbeit gering war. Mit anderen Worten: Der enorme Anstieg der Wirtschaftsleistung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg war im Wesentlichen getrieben durch den Wiederaufbau von Kapital und den technischen Fortschritt.Ein deutlich anderes und daher aufschlussreiches Bild bieten die ost- und südostasiatischen Länder Südkorea, Taiwan und Singapur, für die ein ähnlich fulminanter Wachstumsprozess, wie ihn Japan nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hatte, erst deutlich später begann. Während die Höhe des Wachstums in etwa mit den Erfahrungen Japans übereinstimmt, zeigt die Zusammensetzung, dass dieses Wachstum in wesentlich stärkerem Maß inputgetrieben war und somit auf eine Ausdehnung der schieren Menge der Produktionsfaktoren zurückzuführen ist. Insbesondere in Südkorea und Taiwan war hierbei die Ausdehnung der Arbeitsmenge von großer Bedeutung. So wurden beispielsweise Frauen in den Arbeitsmarkt einbezogen, und viele Personen wechselten von der Landwirtschaft in den industriellen Sektor. Gerade diese letzte Beobachtung legte schon früh den Schluss nahe, dass die Wachstumsdynamik in diesen Ländern früher oder später notwendigerweise an Schwung verlieren würde. Schließlich ist die Ausdehnung der Arbeitsmenge nicht beliebig möglich. Sind die Wachstumsbeiträge des technischen Fortschritts eher gering, muss das Wachstum notgedrungen zurückgehen, wenn das Reservoir an zusätzlich einbeziehbaren Arbeitskräften erschöpft ist. Diese Vorhersage des US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Alwyn Young hat sich im Jahre 1997 und danach mit dem Ausbruch der Asienkrise in fast spektakulärer Weise bestätigt. Obgleich dies keine auch nur annähernd vollständige Diagnose der Krise ergibt, ist dies ein wichtiger Erklärungsbestandteil.Gleichzeitig erhellen sich aus dieser Analyse auch die Anforderungen an eine Prognose zukünftiger Wachstumsraten:(1) Zunächst ist die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials — und damit der Bevölkerungszahl generell — bedeutsam. Auf deren Bestimmungsgrößen soll erst an späterer Stelle näher eingegangen werden. Schon jetzt lässt sich allerdings festhalten, dass hier eine mittelfristige Prognostizierbarkeit noch am ehesten gegeben ist.(2) Als Zweites ist die Kapitalbildung zu nennen. Deren wesentlicher Bestimmungsgrund ist die Sparneigung einer Volkswirtschaft, da Kapitalbildung aus einem gegebenem Sozialprodukt immer nur durch Konsumverzicht bestritten werden kann. Diesem Gedanken wird der nächste Abschnitt über akkumulierbare Produktionsfaktoren detaillierter nachgehen.(3) Schließlich bedingt eine Wachstumsprognose eine Vorstellung von der Rate zukünftiger Effizienzgewinne beziehungsweise eine Vorstellung über den technischen Fortschritt. Es überrascht wenig, dass gerade hier die Prognosemöglichkeiten sehr eingeschränkt sind, dennoch lässt sich auch in diesem Punkt einiges aus der Vergangenheit lernen.Akkumulierbare ProduktionsfaktorenDie Kapitalakkumulation ist eine der Kerngrößen wirtschaftlichen Wachstums. Insbesondere werden durch eine wachsende Kapitalausstattung in einer Volkswirtschaft die dort Beschäftigten produktiver, was gleichbedeutend mit einem höheren Lebensstandard ist. Wie in der Überschrift anklingt, ist die Eigenschaft der Akkumulierbarkeit dieses Produktionsfaktors über die Zeit von entscheidender Bedeutung. Durch diese Akkumulation werden die Produktionsmöglichkeiten nämlich insofern zu einer dynamischen Größe, als ein Verzicht auf Konsum heute zu einer Erhöhung des Produktionspotenzials in der Zukunft führt. Dieser Zusammenhang ist vollkommen analog zu einer privaten Investitionsentscheidung, die ja auch stets im Hinblick auf zukünftige Erträge erfolgt. Die Mechanik der Kapitalakkumulation machen die folgenden Überlegungen deutlich: Der Kapitalstock wächst einerseits durch Bruttoinvestitionen, die in einem bestimmten Zeitraum erfolgen, andererseits nutzt sich der Kapitalstock im Umfang der Abschreibungen ab. Die Differenz von Bruttoinvestitionen und Abschreibungen wird als Nettoinvestitionen bezeichnet. Die Höhe der Abschreibungen, also das Tempo der Abnutzung des Kapitalstocks, wird im Folgenden nicht näher bestimmt, da dies ein rein technologisches Phänomen ist. Im Gegensatz dazu sind die Bruttoinvestitionen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene einer weiteren ökonomischen Analyse zugänglich.Da einerseits Konsum und Investitionen zwei sich ausschließende Verwendungsmöglichkeiten des Sozialprodukts darstellen, andererseits Nichtkonsum gleichbedeutend ist mit Sparen, stellt die Ersparnisbildung die zentrale Voraussetzung für Investitionen dar.Um also zu verstehen, wie sich der Kapitalstock zeitlich entwickelt, muss vor allem das gesamtwirtschaftliche Sparverhalten untersucht werden. Hier drängt sich eine Vielzahl möglicher bestimmender Größen auf: die Höhe und Verteilung des Einkommens, die Existenz und Stabilität staatlicher und/oder privater Rentenversicherungssysteme, der Altersaufbau der Bevölkerung und natürlich auch eine über die Zeiten und Nationen hinweg durchaus variable intrinsische Neigung zur Sparsamkeit. Auf einige dieser Faktoren wird der Text später wieder zurückkommen. Um das Wachstumsgleichgewicht abzuleiten, soll es aber vorläufig genügen, von einer vorgegebenen Sparquote auszugehen.Die Fähigkeiten der BeschäftigtenAber nicht nur physisches Kapital (Maschinen, Anlagen und dergleichen) ist ein akkumulierbarer Produktionsfaktor. Vielmehr kann ganz analog auch über das Humankapital, das heißt die produktionsspezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschäftigten in einer Volkswirtschaft, nachgedacht werden. Dieses Humankapital kann ebenfalls über die Zeit in Form von Aus- und Weiterbildung oder eines Studiums akkumuliert werden. Und natürlich finden auch in diesem Bereich Abschreibungen statt. Dabei gibt es einen klaren konzeptionellen Unterschied zwischen Humankapital und technischem Fortschritt. Während Letzterer sich auf neues Wissen um Produktionstechniken oder Produkte bezieht, ist mit Ersterem die Verbreitung und dadurch erst ermöglichte Anwendung dieses Wissens gemeint. Der Abschnitt über die Erklärung des technischen Fortschritts beschäftigt sich näher mit den Konsequenzen dieses etwas anderen Blickwinkels auf den Produktionsfaktor Arbeit.Das WachstumsgleichgewichtEine Situation, in der das Sozialprodukt mit konstanter Rate aufgrund von Bevölkerungswachstum, Kapitalakkumulation und technischem Fortschritt wachsen kann, wird Wachstumsgleichgewicht genannt. Sieht man zunächst von technischem Fortschritt und Bevölkerungswachstum ab, so ist ein Gleichgewicht dadurch definiert, dass sich Investitionen und Abschreibungen gerade entsprechen. In diesem Fall ist der Kapitalstock K* konstant. Die links stehende Grafik zeigt diese Situation. Die Höhe der Abschreibungen (blaue Linie) ist — bei fester Abschreibungsrate — proportional zum Kapitalstock K. Die rote Linie zeigt die Ersparnisse und damit die Investitionen. Die Krümmung dieser Funktion ergibt sich aus der Annahme, dass eine Erhöhung des Kapitalstocks zu einem steigenden Sozialprodukt führt, die Steigerung aber immer kleiner wird, je höher das bereits erreichte Niveau ist. Anders gesagt: Die zusätzliche Ausstattung von Beschäftigten mit Kapitalgütern ist zwar immer nützlich, der erreichbare Zuwachs der Arbeitsproduktivität wird jedoch im Lauf der Zeit geringer. Da mit wachsendem Kapitalstock die Outputzuwächse kleiner werden, gilt dies auch für die Sparzunahme, da annahmegemäß ein konstanter Anteil des Einkommens gespart wird. Unter dieser Voraussetzung kennzeichnet G (für Gleichgewicht) einen stationären Zustand. Aus der Darstellung lassen sich nun unmittelbar die folgenden Erkenntnisse ableiten:(1) Je höher die Sparquote (je niedriger die Abschreibungsrate), desto weiter oben (unten) verläuft die rote (blaue) Funktion und desto höher ist der Wert des Kapitalstocks K* im Gleichgewicht. Da mit einem größeren Kapitalstock ein größeres Sozialprodukt erwirtschaftet werden kann, lässt sich festhalten: Das Sozialprodukt ist umso höher, je größer die Sparquote ist. Dies trifft auch in einer Pro-Kopf-Betrachtung des Wachstumsgleichgewichts zu.(2) Unter den getroffenen Annahmen ist ein Wachstum in Punkt G nicht realisierbar. Nur links von G ist durch die positive Kapitalakkumulation (Ersparnisse und Investitionen übertreffen hier die Abschreibungen) vorübergehend Wachstum möglich. In G ist Wachstum (pro Kopf) nur denkbar, wenn der technische Fortschritt ins Spiel kommt und der schon eingeführte Effizienzparameter A im Zeitablauf wächst, also die Produktivität zunimmt.(3) Mithilfe des hier entwickelten Rahmens lässt sich auch über den Einfluss von Bevölkerungswachstum auf das Wachstumsgleichgewicht nachdenken. Da eine im Zeitablauf steigende Bevölkerungszahl den Kapitalstock pro Kopf analog zu den Abschreibungen schrumpfen lässt, wirkt sich dies negativ auf das Niveau des gleichgewichtigen Kapitalstocks pro Kopf aus. Bei positivem Bevölkerungswachstum, in Abwesenheit von technischem Fortschritt, wachsen das Sozialprodukt und der Kapitalstock mit der gleichen Rate, ein Wachstum pro Kopf ist aber nicht möglich.Eine Zwischenbilanz an dieser Stelle gibt folgende Einsichten: Zum Ersten ist im Wachstumsgleichgewicht ein Pro-Kopf-Wachstum nur durch technischen Fortschritt möglich. Zweitens verschiebt eine höhere Sparquote (oder niedrigere Abschreibungsrate) das Niveau der Pro-Kopf-Produktion nach oben, eine höhere Rate des Bevölkerungswachstums verschiebt es nach unten. Und zum Dritten werden Volkswirtschaften, die sich hinsichtlich ihrer Technologie, der Sparquote und des Bevölkerungswachstums nicht unterscheiden, früher oder später zum gleichen Wohlstandsniveau konvergieren. Der Grund dafür liegt im Wachstum einer Volkswirtschaft, wenn diese sich links von K* befindet.Das erweiterte WachstumsgleichgewichtWird das Wachstumsgleichgewicht des Modells um die Phänomene des technischen Fortschritts und des Bevölkerungswachstums erweitert, dann ergibt sich eine Situation, wie sie die nebenstehende Grafik zeigt. Die Kerngrößen Produktion, Bruttoinvestitionen, Ersparnisse und Abschreibung werden pro Arbeitseffizienzeinheit angegeben. Diese Größe A · L ist dabei ein Maß für technische Effizienz und Arbeitsvolumen. Die Krümmungen der Funktion und der resultierenden Spar- oder Bruttoinvestitionsfunktion (gestrichelte Linie) folgen der Überlegung, wonach Zuwächse beider Faktoren mit zunehmender Höhe das Sozialprodukt weniger stark steigen lassen. Analog ergibt sich das Gleichgewicht im Schnittpunkt von Investitions- und Abschreibungsfunktion (Punkt G), wo die Veränderung der Kapitalausstattung pro Arbeitszeiteffizienzeinheit null ist. Aufgrund des Bevölkerungswachstums und technischen Fortschritts steigt die Produktion Y. Dies bedingt in G eine proportionale Ausdehnung des Kapitalstocks. Pro Arbeitseinheit L wächst die Produktion mit der Rate des technischen Fortschritts. Für das Niveau — im Gegensatz zur Wachstumsrate — sind folgende drei Punkte von Bedeutung: Das Niveau des Effizienzparameters A kann einen Teil der internationalen und intertemporalen Unterschiede in den Lebensstandards erklären; eine höhere Sparquote führt zu einem höheren Pro-Kopf-Einkommen, verlagert also G nach rechts oben; je größer die Wachstumsrate der Beschäftigung beziehungsweise der Bevölkerung ist, desto niedriger ist das Pro-Kopf-Sozialprodukt, da aus den Ersparnissen auch die Kapitalausstattung für die neuen Arbeitskräfte bestritten werden muss.Das Modell liefert aber auch eine Beschreibung der Anpassungsvorgänge außerhalb des Wachstumsgleichgewichts. Die geschwungene Linie im unteren Teil der Grafik auf dieser Seite gibt an, wie sich die Kapitalausstattung pro Arbeitseffizienzeinheit außerhalb von G verhält. Links von G sind die Investitionen höher als die Abschreibungen (jeweils pro Arbeitseffizienzeinheit). Somit ist die Veränderung der Kapitalausstattung pro Arbeitseffizienzeinheit positiv; rechts von G ist sie negativ. Wie die Pfeile zeigen, ist das Gleichgewicht in G also stabil. Insbesondere weisen Länder, die K* noch nicht erreicht haben, Wachstumsraten auf, die größer sind als im Punkt G. Man spricht in diesem Fall von einem Aufholwachstum (Catch-up).Dieses Anpassungsphänomen erklärt auch die enorm hohen Wachstumsraten der europäischen Länder zwei bis drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg: Das im Gleichgewicht zu erwartende Wachstum wurde durch einen Aufholprozess überlagert, der langsam zu einer gleichgewichtigen Kapitalausstattung je Arbeitseffizienzeinheit führte. Die Dynamik dieses Aufholprozesses hat für die Prognose zukünftiger Entwicklungen relativ armer Volkswirtschaften eine entscheidende Implikation: Für gegebene Bestimmungsgrößen des Gleichgewichtspunkts G werden Volkswirtschaften um so schneller wachsen, je weiter links von G sie sich befinden. Das heißt, das Modell prognostiziert eine bedingte Konvergenz.Ein pathologischer Fall: die ArmutsfalleAuch für die wirtschaftlichen Entwicklungschancen ärmerer Länder vermittelte die bisherige Analyse eine optimistische Sichtweise, und zwar mehr oder weniger unabhängig davon, wie arm sie sind. Hinsichtlich der Wachstumsgeschwindigkeit war ja die Botschaft die, dass gerade die ärmeren Länder besonders schnell wachsen werden. Dennoch gibt es neben zahlreichen Erfolgsstorys hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung von Ländern auch Wachstumskatastrophen, also Länder, die über substantielle Zeiträume nicht gewachsen sind oder sogar einen Rückgang der Wirtschaftsleistung zu verzeichnen hatten. Zu diesen Ländern gehören beispielsweise der Tschad, Äthiopien und Niger mit teilweise über lange Zeiträume negativem Pro-Kopf-Wachstum.Wie kann nun die Erklärung der obigen Ausführungen mit solchen empirischen Erfahrungen in Einklang gebracht werden? Eine einfache, aber sehr plausible Möglichkeit ist die, dass die Sparquote nicht — wie zuvor der Einfachheit der Darstellung halber angenommen wurde — über alle Werte von k und damit auch des Pro-Kopf-Einkommens konstant ist. Es spricht einiges dafür, dass die Sparquote gerade in den allerärmsten Ländern sehr niedrig ist. Der Grund dafür ist einfach: Auf einer niedrigen Entwicklungsstufe muss nahezu das gesamte Einkommen für die Existenzerfordernisse aufgewendet werden. Daher wird erst auf einem höheren Einkommensniveau die Sparquote ansteigen. Diese geringfügige Modifikation hat dramatische Konsequenzen für den Wachstumsprozess, wie in der nebenstehenden Grafik zu sehen ist.Die Darstellungsweise ist in beiden Teilen der Abbildung völlig parallel zur vorherigen Grafik. Einzige Modifikation ist der S-förmige Verlauf der Spar- oder Investitionsfunktion, weil nun die Sparquote eine Funktion des Pro-Kopf-Einkommens und damit der bereits erreichten Kapitalausstattung pro Arbeitseffizienzeinheit ist. Wichtig sind hier die Ruhepunkte G1 und G2, in denen die Veränderung von k null ist. Während aber G1 die bereits bekannte Stabilitätseigenschaft aufweist, ist G2 instabil. Leichte Bewegungen nach links oder rechts sorgen für einen sich selbst verstärkenden Prozess, der immer weiter weg von G2 führt. Nach rechts ist dies der zuvor analysierte Prozess eines Aufholwachstums. Ein Punkt links von G2 führt jedoch zu einer Implosion der Volkswirtschaft, weil die Ersparnisse aufgrund des geringen Entwicklungsniveaus zu gering sind, um auch nur die Abschreibungen auf den Kapitalstock (pro Arbeitseffizienzeinheit) zu decken. Links von G2 befindet sich eine Volkswirtschaft in der Armutsfalle, da dieses kritische Niveau erst übersprungen werden muss, damit ein sich selbst tragender Wachstumsprozess in Gang kommen kann.Wege aus der WachstumskatastropheDiese Überlegungen bilden offensichtlich eine mögliche Grundlage für die Notwendigkeit und Angemessenheit von Entwicklungshilfe und gleichzeitig auch einen Grund zur Hoffnung, dass ein Land früher oder später mit dieser Hilfe auf einen dauerhaften Wachstumspfad einschwenken kann. Gleichzeitig machen die Überlegungen auf Folgendes aufmerksam: Im Prinzip vorübergehende Katastrophen, die Teile des Kapitalstocks einer Volkswirtschaft zerstören, haben in verschieden weit entwickelten Volkswirtschaften qualitativ sehr unterschiedliche Folgen. Wird k innerhalb des Bereichs zwischen G2 und G1 zurückgeworfen, so setzt danach ein umso schnellerer Wachstumsprozess ein. Demgegenüber kann ein Rückgang von k auf einen Punkt links von G2 einen dauerhaften Schrumpfungsprozess auslösen. Ein Rückgang von k ist dabei nicht nur ein theoretisches Gedankenexperiment, sondern mit trauriger Regelmäßigkeit in den Schlagzeilen der Nachrichten: Erdbeben, Wirbelstürme und besonders Kriege und Bürgerkriege.Wie kommt technischer Fortschritt zustande?In den bisherigen Ausführungen wurde der Effizienzparameter A als Maß für das technische Wissen beziehungsweise dessen Wachstumsrate als Maß für den technischen Fortschritt nicht weiter hinterfragt. Vielmehr konnte die zuvor aufgezeigte Zerlegung nur eine Messvorschrift liefern, die all jenes Wachstum erfasst, das nicht der Zunahme der Menge von Inputfaktoren zugerechnet werden kann. In diesem Licht wird verständlich, warum diese Restgröße oft auch als »Maß unseres Nichtwissens um die Triebkräfte des Wachstums« bezeichnet worden ist. Ein wirklich kohärentes und auch noch empirisch befriedigendes Erklärungsmuster dieses Phänomens gibt es nicht. Zwei Erklärungsversuche sollen hier vorgestellt werden: die Schumpeter'sche Idee der kreativen Zerstörung sowie die noch sehr jungen Ansätze der Theorien endogenen Wachstums.Das Gedankengebäude des österreichischen Ökonomen Josef Alois Schumpeter (1883 bis 1950) kreist im Prinzip um die Erklärung konjunktureller Schwankungen. Diese sind in seiner Sichtweise untrennbar mit dem Wachstumsphänomen verbunden, welches auf dem Zusammenspiel von Zerstörung alter und Schöpfung neuer Produktionsstrukturen beruht — eben der kreativen Zerstörung. Im Mittelpunkt des Prozesses steht der Unternehmer, dessen Initiative und Begeisterungsfähigkeit für Neues — und nicht zuletzt die Hoffnung auf Profite — Voraussetzung für die stetige Umsetzung von Innovationen ist. Allerdings ist auch dieser Prozess ständig auf neue, wirtschaftlich relevante technologische Erfindungen und Entdeckungen angewiesen, die der Unternehmer aufgreift oder erst als solche überhaupt erkennt. Insoweit ist auch die Schumpeter'sche Theorie nicht eine eigentliche Erklärung des technischen Fortschritts, sondern eher der Versuch, das Wachstumsphänomen zu beschreiben.Modelle endogenen WachstumsNeuere Forschungsansätze suchen nach einer kausalen Erklärung von Wachstum und beziehen dabei das Phänomen des technischen Fortschritts mit ein. Der entscheidende Baustein dieser Theorie endogenen Wachstums ist die Einsicht, dass der Akkumulierbarkeit von Produktionsfaktoren eine viel größere Bedeutung zukommt, als dies in der traditionellen Unterscheidung von Arbeit und Kapital angelegt ist. Der scheinbar nicht akkumulierbare Faktor Arbeit steht nämlich nicht nur für einfache manuelle Tätigkeiten, sondern viel mehr für Wissen und die Fähigkeit zur Informationsverarbeitung. Beides ist aber — ganz ähnlich wie Sachkapital — akkumulierbar, wobei der Begriff des Humankapitals diese Eigenschaft widerspiegelt.An dieser Stelle soll noch einmal an die Darstellung des Wachstumsgleichgewichts auf den vorangegangenen Seiten und an den Gleichgewichtspunkt G in den Grafiken erinnert werden. Die Existenz eines Gleichgewichtspunkts beruht auf der abnehmenden Steigung der Sparfunktion. G wird dann nicht mehr existieren, wenn die Investitions- beziehungsweise Sparfunktion — wie die Abschreibungsfunktion — in den beiden Darstellungen des Modellgleichgewichts eine konstante Steigung aufweist. Ist zudem die Steigung der Abschreibungsfunktion kleiner als die der Spar- beziehungsweise Investitionsfunktion, würden bei jedem positiven Kapitalstock die Investitionen die Abschreibungen übertreffen. Damit ist eine Situation beschrieben, in der ein positives Wachstum unabhängig von einem exogenen technischen Fortschritt möglich ist. Wachstum wäre endogen — nur durch das Sparverhalten in der Volkswirtschaft — erklärt. Die positive Kapitalakkumulation lässt dann Wachstum unabhängig von der bereits erreichten Höhe des Kapitalstocks zu.Wie kann nun diese Denkmöglichkeit ökonomisch begründet werden? Die Antwort liegt in der Krümmung der Sparfunktion durch die Eigenschaft der abnehmenden Grenzerträge des Kapitals. Je stärker Arbeit als akkumulierbarer Faktor begriffen werden kann, das heißt, je mehr Arbeit in dieser Hinsicht wie Kapital behandelt werden kann, desto schwächer ist die Tendenz zu einer niedrigeren Outputsteigerung bei Ausdehnung des Kapitalstocks ausgeprägt, desto geringer ist somit auch die Krümmung der Sparfunktion. Im Grenzfall einer völligen Gleichheit der beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, wenn also Humankapital genau wie Sachkapital aus laufendem Konsumverzicht aufgebaut werden muss und die reine Arbeit keine Rolle mehr spielt, ergibt sich das eben dargestellte Szenario.Obgleich Humankapital von jeder Person individuell neu erworben werden muss, lässt sich hier insofern von Akkumulierbarkeit sprechen, als jede Generation von Arbeitskräften den jeweils neuesten Stand des technischen Wissens lernen kann. Gerade in jüngerer Zeit geht ja der technologische Generationswechsel in vielen Branchen immer schneller vonstatten, als dies der Generationswechsel der Personen im Erwerbsleben mitmachen kann. Dies bedeutet für viele arbeitende Menschen, dass sie sich ständig weiterbilden müssen, um nicht den Anschluss an die neuen Entwicklungen zu verlieren und dadurch an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr mithalten können. Ein Argument gegen die Akkumulierbarkeit des technischen Wissens ist dieser Umstand jedoch nicht.Trifft das schon in der obigen Grafik gezeigte Szenario einer vollständigen Akkumulierbarkeit der Produktionsfaktoren zu, unterliegt also die Produktionsfunktion keinen abnehmenden Grenzerträgen, so verschiebt eine Erhöhung der Sparquote nicht nur das Niveau, sondern auch die Wachstumsrate des Sozialprodukts nach oben.Deskriptive Erklärungsansätze für die wirtschaftliche EntwicklungWelche Schwierigkeiten auftauchen, wenn langfristiges Wachstum analysiert werden soll, ist bereits klar geworden. Nicht zuletzt deshalb entstanden Beschreibungsversuche mit theoretischem und deshalb prognostischem Anspruch. Das prinzipielle Vorgehen ist hier nicht wie bisher eine Deduktion der Antwort auf die Fragestellung aus klar spezifizierten Annahmen, die auf eine Beschreibung der wirtschaftlichen Zusammenhänge hinauslaufen, sondern eine Induktion von Beobachtungen aus der Vergangenheit auf darin tatsächlich oder vermeintlich enthaltene Gesetzmäßigkeiten und davon auf zukünftige Entwicklungen. Die Charakterisierung macht auch klar, dass solche Ansätze nur beschränkt dazu in der Lage sind, ihren Anspruch auf Prognosefähigkeit tatsächlich einzulösen.Anhand dreier wichtiger Beispiele soll gezeigt werden, wie solch eine Vorhersage auf zwei prinzipiell verschiedene Arten verfehlt sein kann: Einerseits kann sich eine gemachte Prognose schlicht als falsch herausstellen, auf der anderen Seite gibt es Modelle, die eine große Zahl von Beobachtungen zulassen, wobei dann die Prognose selbst zur Leerformel verkommt. Die drei Denkansätze, über die im Folgenden kurz berichtet werden soll, sind die Entwicklungstheorie von Karl Marx, die Stufentheorie des US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Walt W. Rostow sowie die Überlegungen zu den Kondratjew-Zyklen.Die Entwicklungstheorie nach Karl MarxIm Gedankengebäude von Karl Marx (1818 bis 1883) nimmt seine Entwicklungstheorie eine zentrale Rolle ein. Seine ganzen Überlegungen kreisen nämlich darum zu begründen, warum der Übergang von einem kapitalistischen System zu einer kommunistischen Organisation von Gesellschaft und Wirtschaft zwangsläufig sein muss. Diesen Wandel sieht Marx allerdings nicht isoliert, sondern als das letzte Glied der im Folgenden skizzierten Kette: Sklavenhaltergesellschaft p Feudalismus p Kapitalismus p Kommunismus.Für Marx waren die beiden erstgenannten Übergänge eine zwangsläufige Folge der Versuche der Menschen, ihren Lebensstandard zu erhöhen. In seinem Denkgebäude war es daher nur konsequent anzunehmen, dass auch der dritte Übergang zwangsläufig erfolgen müsse. Diesem Gedanken soll hier kurz nachgegangen werden. Für Marx war die kapitalistische Produktionsweise dadurch gekennzeichnet, dass Kapitalisten dem Arbeitnehmer nur einen Lohn in Höhe des physischen Existenzminimums zu bezahlen haben, die höhere Produktivität, also den Mehrwert, jedoch für sich behalten können. Da dies im Lauf der Zeit zu einem immer gravierender werdenden Auseinanderdriften von Produktion und Kaufkraft der Arbeiter führt, ist dieses System zum Scheitern verurteilt. Aus dieser Logik folgt denn auch scheinbar zwingend, dass nur ein Kollektiveigentum an Produktionsmitteln, das heißt der Kommunismus, in der Lage ist, das zugrunde liegende Problem zu lösen. Hier ist nicht der Platz, um zu diskutieren, welche spezifischen Probleme das kommunistische Gesellschaftsmodell in seiner praktischen Ausführung dann mit sich brachte — klar ist: Karl Marx hat sich mit seiner Diagnose geirrt. Der in vielen Industrien bezahlte Hungerlohn war und ist kein zwingendes Merkmal des Kapitalismus, sondern beruhte vor allem auf dem Fehlen einer Gegenmacht der Arbeiter gegenüber den Unternehmern. Vor allem die Aufhebung des Gewerkschaftsverbots hat für Abhilfe und Besserung gesorgt, ohne das auf Privateigentum an Produktionsmitteln basierende kapitalistische System völlig aus den Angeln zu heben.Die Stadieneinteilung nach RostowAusdrücklich als »Alternative zur marxistischen Entwicklungstheorie« stellt Walt W. Rostow seine Stadieneinteilung vor, in der wichtige Merkmale wirtschaftlicher Entwicklung abgebildet werden. Im Einzelnen unterscheidet Rostow die traditionelle Gesellschaft mit einer Dominanz des Agrarsektors sowie feudal-hierarchischer Strukturen, die Übergangsgesellschaft, in der eine produktivere Landwirtschaft das Entstehen von Industrie ermöglicht und bereits Außenhandel entstehen kann, die Startgesellschaft, in welcher der Übergang zu einem sich selbst tragenden Wachstumsprozess insbesondere durch ein steigendes Spar- und Investitionsvolumen erfolgt, häufig angestoßen durch Basiserfindungen, die Reifegesellschaft mit einem hohen technologischen Stand und einem stärker zyklisch werdenden Wachstumsprozess sowie die Massenkonsumgesellschaft, in der das Wohlstandsniveau die Befriedigung der Existenzbedürfnisse völlig absichert und nun auch soziale Wohlfahrt in den Mittelpunkt des Interesses rückt.Auch wenn die hier gegebene Charakterisierung wenig mehr als schlagworthaft ist, kann weder aus den genannten Stadien eine historische Zwangsläufigkeit abgeleitet werden, noch liegt eine überprüfbare Theorie vor. Dennoch ist es möglich, sich anhand dieses Schemas die Stellung von Entwicklungsländern zu verdeutlichen und ihre Entwicklungschancen realistisch einzuordnen.Kondratjew-ZyklenEine dritte Idee stammt von dem russischen Ökonomen Nikolai Kondratjew (1892 bis 1931), der langfristige zyklische Muster in der wirtschaftlichen Entwicklung entdeckt hatte. Grundlage seiner Überlegungen ist eine Beobachtung: Seit der Industrialisierung ist der wirtschaftliche Ablauf durch lange Wellen mit einer Dauer von etwa 50 Jahren gekennzeichnet. Jeder dieser Wellen kann nun eine bestimmte Schlüsseltechnologie zugeordnet werden, wie die folggende Grafik zeigt. Das Fragezeichen beim sechsten Zyklus nach Beginn der Industrialisierung soll daran erinnern, dass der so gesteuerte Blick auf die Vergangenheit bei der Abschätzung zukünftiger Technologien nicht unbedingt weiterhelfen muss. Darüber hinaus bieten 50-Jahres-Zyklen in der Vergangenheit natürlich keinerlei Gewähr für die Fortsetzung dieses Musters auch in der Zukunft. Die Kondratjew-Zyklen machen daher auf eine interessante empirische Regelmäßigkeit aufmerksam, sind aber für den Zweck einer Prognose untauglich, weil die zugrunde liegende Theorie zu wenig verbietet. Zudem lassen sich aus der puren Beschreibung solcher in der Vergangenheit zyklisch auftretenden Schlüsseltechnologien keine Hinweise für die dahinter liegenden Mechanismen ableiten. Mit anderen Worten: Die Industrialisierung folgte zwar zumindest bisher 50-Jahres-Wellen, doch weshalb Basisinnovationen in diesem zeitlichen Muster auftreten, ist völlig unklar.Neben den genannten Ansätzen gibt es insbesondere bei Historikern eine Reihe von beschreibenden Theorien, die im Wesentlichen versuchen, die Kernelemente einer gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Entwicklung herauszuarbeiten. Ein jüngeres — sehr lesenswertes — Beispiel ist die Abhandlung von David S. Landes »The Wealth and Poverty of Nations«. Hier wird die These vertreten, sowohl geographische und klimatische Faktoren wie auch kulturelle Werte wie zum Beispiel der Wert des Privateigentums und die positive Grundhaltung gegenüber der Forschung hätten vor allem in Europa die wirtschaftliche Entwicklung begünstigt.Wachstum und WirtschaftsordnungDie bisherigen Ausführungen verzichteten fast vollständig auf institutionelle Merkmale einer Volkswirtschaft und begnügten sich mit einem sehr groben Entwurf von »Marktwirtschaft«. Natürlich sind Institutionen für Effizienz und Wachstum und damit auch für die Zukunftsperspektiven von Volkswirtschaften von großer Bedeutung. Unter dem Begriff »Wirtschaftsordnung« versteht man die Summe aller Rahmenbedingungen, die einen Einfluss auf den Wirtschaftsablauf haben. Dazu zählen etwa nationale Gesetze und Normen sowie internationale Vereinbarungen.An erster Stelle in einer Wirtschaftsordnung sind die Institutionen von Privateigentum und Rechtssicherheit zu nennen, ohne die eine Wachstumskatastrophe programmiert ist. Daneben spielen aber auch beispielsweise Bereiche wie Tarifvertragsrecht, Geld- und Währungsordnung, die Steuer- und Transfergesetzgebung eine jeweils wichtige Rolle. Werden solche institutionellen Indikatoren mit einbezogen, so lassen sich auch Wachstumsunterschiede zwischen Ländern erklären, die mit dem bislang vorgestellten Wachstumsmodell nicht erklärbar sind. In einer Studie fassen die schweizerischen Ökonomen Silvio Borner, Aymo Brunetti und Beatrice Weder diese Faktoren unter dem Stichwort »Politische Glaubwürdigkeit« zusammen und unterscheiden hier die folgenden Aspekte:(1) Reputation von Regierungen, das heißt die Glaubwürdigkeit, sich an bestehende Gesetze zu halten oder diese durchzusetzen und nicht völlig unvorhersehbar zu ändern;(2) Offenheit, also das Zulassen von weitgehend ungehinderten internationalen Handelsströmen;(3) Beteiligung der Bürger an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen, insbesondere durch Ausübung von Kontrolle gegenüber den staatlichen Institutionen.Prof. Dr. Jürgen Jerger, NürnbergWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Wirtschaftswachstum: Hat das Wachstum Grenzen?Globalisierung und wirtschaftliche EntwicklungLandes, David S.: Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind. Aus dem Amerikanischen. Berlin 1999.
Universal-Lexikon. 2012.